ca. 89 km

Auf dem Campingplatz von Inverness war ich direkt an der Ausfallstrasse zum Loch Ness, nach einer kurzen Fahrt über einen Hügel, entlang des Caledonian Canal, hatte ich den See erreicht. Fast überflüssig zu erwähnen, dass das Wetter sehr schön war. Die Sonne schien, aber es waren mehr Wolken am Himmel als an den letzten beiden Tagen, und es blies ein starker Wind durch das Tal. Ich befand mich auf der Hauptroute mit relativ viel Verkehr, dafür hatte ich hier guten Windschatten. Ausserdem ist die Strasse breit, und selbst die LKW fuhren vorsichtig an mir vorbei. Man kann auch an der östlichen Uferseite auf einer kleinen Nebenstrasse entlang des Loch Ness radeln, dazu muss man in's Zentrum von Inverness zurück und dann immer dem River Ness auf der linken Seite folgen. Allerdings führt diese Route im hinteren Teil weg vom See und auf fast 400 m Höhe hinauf, man sollte sich das gut überlegen.

Nun war ich also am berühmten Loch Ness und radelte auf der Uferseite, die steil zum See abfällt. Die gegenüberliegende Seite des Sees sieht mehr oder weniger genau so aus. Er kam mir vor wie eine überdimensionale vollgelaufene Badewanne, 43 km lang und fast immer derselbe Blick. Es ist definitiv nicht der landschaftliche Höhepunkt Schottlands. Die Strasse führt wellig manchmal höher, manchmal niedriger am Hang entlang, ist aber nicht schwer zu fahren. Mehr Abwechslung hatte ich in der Bucht von Drumnadrochit, wo River Enrick und River Coiltie zusammen in den See fließen. Vor dem Einbiegen in diese Bucht kann man bereits die Ruine des Urquhart Castle bestaunen, das an der Spitze des anderen Endes dieser Bucht thront. Deswegen und wegen des Official Loch Ness Exhibition Center in einem schlossähnlichen Gebäude von Drumnadrochit war hier etwas mehr Andrang.

Kurz vor der Brücke über den River Enrick kommt die Seitenstrasse aus Beauly herein. Hier hatte ich Freddie verpasst, weil ich viel zu spät dran war. Leider habe ich nie erfahren, ob er es in zwei Wochen nach Lands End geschafft hat. Ich fuhr auf dem Bürgersteig langsam aus der Bucht heraus und konzentrierte mich auf den Blick zum Urquhart Castle. Dabei blieb ich in einer scharfen Rechtskurve mit der Vorderradtasche an der scharfkantige Halterung einer Leitplanke hängen, die meine gute Ortlieb aufschlitzte. Beim notdürftigen Reparieren ging mir auf: ohne diese Tasche wäre mein Bein mit diesem Metallgestänge kollidiert. Das Sightseeing mischte sich deshalb mit einem Gefühl des Entsetzens und "Gerade-noch-mal-gut-gegangen", dennoch fing ich ein paar schöne Bilder mit der Kamera ein.

Danach erfüllte mich die Monotonie des Loch Ness, nur unterbrochen durch eine kleine Bucht bei Invermoriston. Auch ein Seeungeheuer wollte sich nicht zeigen, aber mir war vorher nicht klar, dass Nessie so viel Platz zum Baden hat. Ich war jedenfalls froh, als ich Fort Augustus erreichte und etwas Abwechslung in die Etappe kam. Hinter dem Ort wurde das Tal durch einen kleinen Bergrücken in zwei Hälften geteilt. Die grössere Hälfte wurde vom Caledonian Canal und dem River Oich durchflossen, die Strasse führte mich durch die kleinere Hälfte am Loch Uanagan vorbei. Die beiden Täler vereinigen sich bei Aberchalder wieder, gleichzeitig wird es enger. Es geht über den Caledonian Canal zurück auf die ursprüngliche Seite und entlang des Loch Oich, der auf mich deutlich freundlicher wirkte als sein grosser Bruder.

Er ist nach 6 km schon wieder zu Ende, dort befindet sich der Great Glen Water Park, wo man Bootstouren unternehmen und in nett aussehenden Cottages übernachten kann, eine Zeltwiese konnte ich dort aber nicht ausmachen. Dann geht es durch die im Tal verstreut liegende Ortschaft Laggan wieder hinüber zur anderen Talseite. Als ich zum Loch Lochy kam, traf mich tatsächlich ein Regenschauer, durch den die Sonne beim niedergehen aber schon durchschien, er war schnell wieder vorbei. Der Loch Lochy ist 16 km lang und wird nach Süden breiter. Zu meiner grossen Verwunderung ging es auf halbem Weg bereits den Hang hinauf, ziemlich steil durch einen Wald, so dass der See aus meinem Blickwinkel verschwand, bis auf 120 m Höhe. Man muss dazu ergänzen, dass der Wasserspiegel des Loch Lochy schon auf 40 m Höhe liegt.

Dann geht es flachwellig auf etwa 100 m Höhe weiter und kurz darauf hinunter zum River Gloy auf etwa 70 m. Diesem folgt die Strasse flussaufwärts zurück auf 120 m, verlässt das Tal aber dann und bleibt auf dieser Höhe. Es ist ein etwas verwirrender Streckenverlauf, ich hatte ziemlich die Orientierung verloren. Um mich herum ragten in Wolken gehüllte hohe Berge auf, und ich wusste nicht so recht, was mich nun erwartet. Dabei hatte ich es schon überstanden. Am Ende eines weiteren Waldstückes trifft die Strasse auf eine Abzweigung, an der ein Denkmal steht, Commando Monument genannt, davor ein riesiger Parkplatz und sonst nichts. Es wirkte auf mich zunächst etwas unmotiviert, als ich mich umschaute, bemerkte ich aber den weiten Rundumblick, den man von dieser erhabenen Position hat.

Laut meiner Karte war der Ben Nevis - höchster Berg Schottlands - ganz nah, wären da nur nicht die vielen Wolken gewesen. Plötzlich öffnete sich die Wolkendecke, sie zerteilte sich quasi in eine untere und eine obere Wolkenschicht. Dazwischen konnte ich das Massiv erkennen, eine Szenerie, wie man sie nicht alle Tage erlebt. Der höchste Gipfel wollte sich zwar nicht vollständig von Wolken freimachen, aber ich konnte ja bis zum nächsten Tag warten, der Zeltplatz von Gairlochy ist ganz nah. Ich rollte die Abzweigung hinunter, kurz vor Erreichen des Talbodens ist links die Einfahrt zum Camp. Es befindet sich mitten im Hang, deswegen ist die Anlage langgezogen und nicht besonders gross. Ich fand einen Platz neben einer sehr kommunikationsfreudigen holländischen Familie. Noch vor Hereinbrechen der Dunkelheit begann es dann heftig zu regnen, was das Stimmengewusel in der Nachbarschaft bald zum Verstummen brachte. Um Mitternacht verstummte schliesslich auch der Regen.

Camping Gairlochy auf OpenStreetMap

Inverness - Loch Ness - Gairlochy