ca. 92 km

Die Routenwahl über Gairlochy war genau richtig, hier war ich auf einer ruhigen Nebenstrasse nach Fort William. Es war am Morgen noch ziemlich bewölkt, ich konnte beim Start aber schon sehen, dass sich das Wetter wieder besserte. Ich überquerte den Caledonian Canal und bog um eine scharfe Linkskurve in das Tal des River Lochy ein. Ein Radler kann sich keine schönere Strecke wünschen, es gab kaum Verkehr und ich hatte direkte Sicht auf das Massiv des Ben Nevis. Dessen Gipfel versteckte sich zwar immer noch in einer Wolkenkrone, aber es wurde von Minute zu Minute schöner. Ich konnte dabei zusehen, wie sich die Wolken am Himmel auflösten und den Start freigaben für einen wunderschönen Sommertag in Schottland.

So stellte ich mein Rad an einem Zaun ab und wartete geduldig auf freie Sicht zum höchsten Berg Schottlands. Der Wolkenhut verschwand zwar nicht ganz, verschob sich aber ein wenig und gab schliesslich den Gipfel frei. Zufrieden und entspannt rollte ich nach Fort Williams hinein. Die Stadt ist sehr schön, hat sogar eine Fussgängerzone, und eignet sich bestens für eine kleine Pause, auch wenn ich erst 17 km leichteste Strecke geradelt war. Mit meinen frisch erworbenen Leckereien suchte ich mir einen schönen Platz am Ufer des Loch Eil und sinnierte darüber nach, welch tolle Eindrücke ich bisher in Schottland sammeln konnte. Aber immer wenn ich dachte, dass nun nichts schöneres mehr kommen kann, setzte Schottland noch eins oben drauf.

Ich radelte auf der Hauptstrasse nach Süden aus Fort William heraus, immer am Ufer des Loch Eil entlang. Die Strecke ist fast durchgehend flach, nur unterhalb des Inchree-Hügels ist es am Steilufer etwas wellig, aber alles leicht zu fahren. Direkt darauf passierte ich die Corran Narrows, die gleichzeitig die Grenze zum grossen Loch Linnhe darstellen. Eine Fähre verbindet die beiden Seiten des Loch Eil miteinander, so dass ich auch auf der anderen Uferseite auf einer kleineren Strasse hierher hätte fahren können. Sie ist ebenfalls fast flach, nur etwas kurviger. Am Fort William Ferry Landing Pier kann man nach Camusnagaul an dieser Strasse übersetzen.

Ich fuhr weiter um die scharfe Linksbiegung nach Onich und hatte eine wundervolle Aussicht auf die Umgebung. Auch wenn es sich hier etwas stärker bewölkte, der riesige Loch Linnhe lag ganz still vor mir, kein Wellengang - immerhin handelt es sich um einen ausgewachsenen Meeresarm an der Westküste Schottlands. Auf der anderen Seite wanderte mein Blick hinüber zur Ballachulish Bridge, die ich als nächstes überqueren sollte. An diesem Punkt hatte ich die Great Glen Fault fast vollständig durchquert, nur das Stück nach Oban lag noch vor mir. Ich war mir über den weiteren Verlauf meiner Etappe noch nicht im Klaren. In Oban wäre ich wieder auf meine Strecke vom Beginn der Tour getroffen, das fand ich irgendwie langweilig.

An der Strasse las ich etwas von einem Glen Coe Valley - ich hatte noch nie etwas davon gehört. Bei soviel Tamtam muss es ja etwas ganz besonderes sein, dachte ich mir und radelte los. Auch die Route entlang des Loch Leven ist hier wunderschön. Bei Erreichen der Ortschaft Glen Coe sah ich einen Campingplatz, kurz darauf noch einen zweiten. Das nächstgelegene Camp befand sich laut meiner Karte erst wieder in Tyndrum, nach einer langen Strecke durch's Gebirge. Ich überlegte kurz, die Etappe früh zu beenden, schön war es hier. Aber die bisher gefahrene Strecke war so lächerlich, meine Beine wollten radeln, ich war in Topform :-)

Also ging es durch das Tal des River Coe - spürbar bergauf. Die Berge links von mir fast 1000 m hoch, rechts von mir waren es über 1100 m. Am Loch Achtriochtan hatte ich selbst die Höhe von 100 m erreicht. Und hier zeigte sich nun die einzigartige Schönheit von Glen Coe. Die Wiesen ziehen sich in leuchtendem grün die Berghänge auf beiden Seiten hoch, die Farben wirkten im Sonnenlicht fast unnatürlich. Die verwitterten Geröllmassen zwischen den Wiesen geben der Landschaft einen alpinen Charakter. Der schönste Blick aber bot sich über den Loch Achtriochtan hinweg zu einer Baumgruppe, hinter der eine mächtige Felswand emporstieg und sich gleichzeitig im See spiegelte. Es war schwer, von diesem Blick wieder loszulassen.

Beim Blick durch das Tal sah ich die Strasse ansteigen. Es war nicht übermässig steil, aber es ging gut bergauf, und der Ausflugsverkehr war bei diesem Wetter deutlich spürbar. Etwa 7 km sind es vom Loch Achtriochtan zur Passhöhe, das schafft man. Aus dem Tritt brachte mich eine Baustellenampel auf dem Weg zum Pass. Ich musste bergan wieder in Schwung kommen und zog einen langen Autokorso durch die einspurige Passage hinter mir her. Aber es gab keine andere Möglichkeit, und die Autofahrer fuhren glücklicherweise fast alle vorsichtig. Auf fast 320 m war dann die Passhöhe von Glen Coe erreicht, dort fuhr ich in ein hügeliges Hochtal ein.

Dort traf ich auf den River Coupall, der mich recht sanft auf 230 m Höhe hinunter begleitete. Die Abfahrt endet mit der Überquerung des River Etive bei Kingshouse. Man kann auf einer Stichstrasse den Fluss bis zum Loch Etive hinunterfahren. Über die Qualität der Uferstrasse entlang des Sees kann ich allerdings nichts sagen, auf der Karte gibt es im oberen Teil keine durchgehende Spur, man sollte auf jeden Fall die Einheimischen fragen. Ab Kingshouse geht es auf der Hauptroute wieder bergauf, flach aber dafür sehr lange. Nach 6 km hatte ich auf der Anhöhe in einer Rechtskurve den höchsten Punkt des Tages bei 350 m erreicht. Dies war gleichzeitig mein höchster Punkt auf der gesamten Schottland Radtour. Dann geht es ein kurzes Stück bergab zu einer Seenplatte auf 300 m. Links der Loch Ba, rechts der Loch na h-Achlaise mit vielen kleinen Felsinseln, wunderschöne Fotomotive ohne Ende.

Dahinter geht es leicht bergab zu einer Geländekante, von der man eine weite Aussicht auf diese grandiose Landschaft hat. Im Tal der Loch Tulla, dahinter die glattgehobelten, über 1000 m hohen Berge, zum Beispiel der Beinn Dorain mit 1076 m. In einer weiten Serpentine rollte ich nun steil bergab zum Loch Tulla auf 170 m, wo die Strasse auf die Bahnlinie von Fort Williams trifft. Gäbe es hier irgendwo einen Campingplatz, ich hätte ihn sofort aufgesucht. Stattdessen ging die Fahrt weiter durch das flache Tal des River Orchy, kaum merklich bergab auf 160 m Höhe. Hinter dem kleinen Ort Bridge of Orchy, der sogar über eine Bahnstation verfügt, merkte ich nicht, dass das Haupttal abzweigte, ich aber geradeaus in das Seitental des Allt Kinglass einfuhr.

Ich wunderte mich bloss, dass plötzlich das Treten so schwer wurde, obwohl kein Gegenwind herrschte. Sichtbar war die Steigung für mich nicht, aber im Gebirge erlebte ich diese optische Täuschung nicht zum ersten mal. So kämpfte ich mich wacker auf der rechten Talseite bergauf, während die Bahnlinie sich auf der anderen Talseite den Hang hinaufschlängelte. Als beide Seiten immer enger zusammenliefen, wurde es in einem finalen Anstieg nochmal etwas steiler. Am höchsten Punkt war ich wieder auf satten 320 m. Dahinter geht alles ganz schnell. Das Tal weitet sich, es geht deutlich bergab in einer grossen Schleife nach Clifton, wo die Strasse von Oban einmündet. In direkter Nachbarschaft befindet sich Tyndrum auf etwa 230 m Höhe.

Das Camp im Ort war nicht ganz leicht zu finden. Man muss die Abzweigung nach rechts zur Bahnstation Tyndrum Lower nehmen - Achtung: der Ort hat zwei Bahnstationen! Dann geht es über eine Brücke, direkt dahinter befindet sich das "By the Way Hostel and Campsite". Ich war spät dran und es war bereits brechend voll, der Platz wurde hauptsächlich von Wanderern belegt. Besonders gross war die Zeltwiese nicht, so dass ich mich mit meinem winzigen Zelt zwischen die anderen quetschen musste. Dementsprechend war die Nacht etwas unruhig, obwohl sich niemand rücksichtslos verhielt.

Camping Tyndrum auf OpenStreetMap

Gairlochy - Glen Coe - Tyndrum